Spuren – eine Erkundung von Chemnitz


Emeka Ogboh

9. Mai – 8. August 2025


Emeka Ogboh Ausstellung in Chemnitz bei Konstanze Wolter
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„Spuren“ zeigt die Spuren des industriellen Herzens und der visionären Seele von Chemnitz - einer Stadt, die historisch von dichten Wohnvierteln, geschäftigen Fabriken und ehrgeizigen Innovationen im Textilbereich geprägt ist. Diese zeitgenössische Ausstellung unternimmt eine Reise in die vielschichtige Vergangenheit von Chemnitz durch eine immersive, multisensorische Erkundung der Spuren, die die Industrialisierung hinterlassen hat.

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In seiner Erkundung entfaltet Emeka Ogboh eine dichte, multisensorische Topographie der industriellen Vergangenheit von Chemnitz – einer Stadt, deren urbane und soziale Geografie maßgeblich durch die Textilindustrie des 19. Jahrhunderts geformt wurde. In einer komplexen Choreographie aus Skulptur, Rauminstallation, Klang, Duft und Kulinarik rekonstruiert Ogboh die atmosphärischen Schichten einer Epoche, die den technischen Fortschritt ebenso zelebrierte wie sie soziale, ökologische und existenzielle Spannungen hervorbrachte.

Zentrales Element ist eine monumentale Skulptur, die das Spinnrad – Emblem der frühen Industrialisierung – in eine anthropomorphe Form transformiert: Zwölf menschliche Arme, kräftige und feinere zugleich, ersetzen die Speichen des Rads. Diese symbolische Anordnung reflektiert die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in den Chemnitzer Textilfabriken um 1880, als Frauen etwa ein Drittel der Arbeitskräfte stellten. Ogbohs Arbeit evoziert so die Marx’sche Theorie der Entfremdung: den Verlust menschlicher Subjektivität im mechanisierten Produktionsprozess.

Diese Thematik erhält in Chemnitz eine besondere historische Resonanz: 1953 wurde die Stadt in Karl-Marx-Stadt umbenannt und eine überdimensionierte Büste des Denkers zentral aufgestellt – ein ideologisch aufgeladener Akt, der die urbane Identität explizit mit den sozialistischen Utopien verknüpfte, die Marx in seiner Kapitalismuskritik entwarf. Die in der Ausstellung zitierten Fragmente aus Das Kapital verweisen so nicht nur auf die industrielle Arbeitswelt des 19. Jahrhunderts, sondern auch auf die symbolische Überformung der Stadt Chemnitz im 20. Jahrhundert.

Der Ausstellungsraum selbst wird durch eine tiefschwarze Wand in ein immersives, fast sakrales Dunkel transformiert – ein Verweis auf das historische Phänomen des „schwarzen Schnees“ von 1865, als Chemnitz unter einer dichten Glocke aus Rauch und Ruß lag. Diese düstere Atmosphäre war so prägend, dass Chemnitz im benachbarten Erzgebirge den Spitznamen „Ruß-Chams“ erhielt – ein Ort, den man oft nur als schattenhafte Silhouette unter einer rußigen Glocke am Horizont wahrnahm.

Inmitten dieser Dunkelheit leuchtet als Neonwerbung das frühe Motto der Stadt auf und fragmentiert die homogene Schwärze: „Eng wohnen, weit denken.“ Ergänzt wird diese visuelle Dichte durch die olfaktorische Installation einer Industriellen Essence: Gerüche von Dampf, Maschinenöl und Baumwolle entfalten ein sensorisches Erinnerungsfeld, das die körperliche Erfahrung industrieller Arbeit evoziert. Klanglandschaften aus mechanischen Rhythmen und eine kulinarische Intervention, die historische Arbeitergerichte neu interpretiert, erweitern die sinnliche Erfahrbarkeit der Geschichte.

Spuren ist keine konventionelle historische Rekonstruktion, sondern eine poetisch verdichtete, körperlich erfahrbare Meditation über Industrialisierung, Urbanität und Erinnerung. Emeka Ogboh gelingt esdie vielschichtige Vergangenheit von Chemnitz zwischen industrieller Moderne, marxistischer Ideologie und postindustrieller Transformation in ein lebendiges, fragiles Erinnerungsgewebe zu übersetzen.